Von Grapschern, Glauben und Gazetten
Der Beitrag der Medien in einer religiös-pluralistischen Gesellschaft am Beispiel der Thematisierung und
Nennung religiöser Zugehörigkeiten in der Berichterstattung nordrhein-westfälischer Tageszeitungen über die Kölner Silvesternacht 2015/2016
Nennung religiöser Zugehörigkeiten in der Berichterstattung nordrhein-westfälischer Tageszeitungen über die Kölner Silvesternacht 2015/2016
Die Kölner Silvesternacht gilt in den Ausmaßen der Gewalttätigkeit und angesichts der Homogenität der Gruppe der Täter als singuläres Ereignis. Doch wäre es unseriös, sie isoliert betrachten zu wollen; eine Einordnung und Bewertung der Vorfälle am Abend und in der Nacht kann nur im zeitlichen und im politischen Kontext erfolgen: Die Silvesternacht markierte wie kaum ein anderes Ereignis den Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition. „Nach Köln“, wie es jetzt heißt, wich die
Stimmung der so genannten „Willkommenskultur“ zunehmend einer Stimmung aus Furcht, Ablehnung und Angst – gegenüber Flüchtlingen, aber auch gegenüber deren Kultur und mehrheitlicher Religion, dem Islam.So unzweifelhaft Massenmedien gesellschaftliche Werte, Handlungsmuster, Rollenverhalten und Normen auch in Bezug auf Religionen vermitteln, so umstritten ist, ob und wie sie dieser Aufgabe gerecht werden (können). Die Beantwortung dieser Frage scheitert häufig schon daran, dass nicht einmal unter Medienwissenschaftlern Konsens darüber erzielt werden kann, was überhaupt eine angemessene Berichterstattung im Umgang mit Religion und religiöser Pluralität wäre. Anders als andere zuletzt veröffentlichte medienwissenschaftliche Arbeiten konzentriert sich mein Forschungsinteresse weniger auf die Frage, warum und mit welcher Wirkung Medien bestimmte Aspekte einer Religion in ihrer Berichterstattung hervorheben bzw. andere (bewusst oder unbewusst) vernachlässigen, sondern vielmehr darauf, mit welcher Haltung, aus welchem journalistischen Selbstverständnis heraus, unter welchem Blickwinkel und mit welcher Konsequenz Journalisten Themen und Ereignisse aus dem Spektrum religionsbedingter oder zumindest religiös konnotierter, fundamentaler Wertekonflikte verfolgt haben, nachdem sie sich entschieden hatten, darüber berichten zu wollen. Ich möchte wissen, welchen Beitrag Medien zum Zusammenleben in einer religiös-pluralistischen Gesellschaft leisten können und wie ein - der Funktion der Presse angemessener - Umgang mit der Berichterstattung über religiöse Zugehörigkeiten aussehen könnte. Diesen Fragen möchte ich anhand einer primär empirisch ausgerichteten Untersuchung der Berichterstattung über fundamentale Wertekonflikte in regionalen Tageszeitungen aus Nordrhein-Westfalen nachgehen. Exemplarisch möchte ich hierzu die Berichte über die Vorfälle während der Kölner Silvesternacht 2015/2016 auswerten, die im ersten halben Jahr nach dem Ereignis, also zwischen dem 1.1.2016 und dem 1.7.2016 in der regionalen Presse publiziert wurden, und ihre Thematisierung des (tatsächlichen oder vermeintlichen) religiösen Hintergrunds des Geschehens analysieren. |
Die Berichterstattung der Medien über die Kölner Silvesternacht ist öffentlich diskutiert, aber bisher medienwissenschaftlich kaum analysiert werden. Angesichts der unterschiedlichen Erwartungen und Einschätzungen, mit denen die Medien insoweit konfrontiert sind, soll diese Forschungslücke mit Bezug auf die Frage geschlossen werden, welche Rolle die religiöse Herkunft und Zugehörigkeit der Beteiligten in der Berichterstattung gespielt oder gerade nicht gespielt hat. Die Frage, ob und wann religiöse und andere Zugehörigkeiten von den Medien genannt werden sollen und dürfen, hat - als unmittelbare Folge der Kölner Silvesternacht - auch den Deutschen Presserat beschäftigt. Diskutiert wird zurzeit, ob der so genannte Diskriminierungsparagraph in Ziffer 12.1 des Pressekodex („In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“) geändert werden sollte. Die vor allem empirische Untersuchung soll sich sowohl mit den Medienínhalten selbst (Inhaltsanalyse) beschäftigen als auch mit den Medienakteuren, ihren Einstellungen und ihrem Vorverständnis (Kommunikatorforschung). Ein weiteres Ziel der Untersuchung ist es, anhand der Ergebnisse mögliche erste medienethische Reflektionsansätze und verallgemeinerbare Handlungsempfehlungen zum künftigen Umgang mit religiös konnotierten Konflikten in der Presse zu entwickeln. |