Rahmenbedingungen und Muster zivilgesellschaftlicher
Performanz von religiösen und säkularen
Migrantenselbstorganisationen in Nordrhein-Westfalen
Vor dem Hintergrund eines in den letzten Jahren in Politik und Wissenschaft zu verzeichnenden Paradigmen-wechsels werden Migrantenselbstorganisationen (kurz: MSO) in Deutschland zunehmend nicht mehr unter sicherheitspolitischen und defizitären, sondern unter potenzialorientierten Gesichtspunkten betrachtet. Insbesondere seit der sog. „Flüchtlingskrise“ haben MSO scheinbar eine deutliche Aufwertung erfahren: Als wichtige Anlaufstellen und Kulturdolmetscher kommen ihnen für das Zusammenleben in einem ethnisch und religiös pluraler werdenden Deutschland potenziell wichtige brückenbauende Funktionen zu, sodass ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihr Einsatz verstärkt benötigt werden. In den Blick geraten damit die Bedeutung und Leistungsfähigkeit von MSO als zivilgesellschaftliche Akteure und Kooperationspartner „auf Augenhöhe“. Allerdings haben Einschätzungen zur (neuen) Bedeutung des Engagements von MSO häufig den Charakter anekdotischer Evidenz und die Aktivitäten der MSO als Kollektivakteure sind empirisch bislang wenig erforscht. Hauptanliegen des Forschungsvorhabens ist es daher zur Schließung dieser Forschungslücke beizutragen, indem im Rahmen einer Vollerhebung in neun Großstädten Nordrhein-Westfalens* die sehr heterogene Landschaft der MSO mit einem standardisierten Fragebogen mehrsprachig zu ihren Aktivitäten und ihrer Situation befragt werden. Dabei soll auch ermittelt werden, welche konkreten Aufgaben die MSO in der Flüchtlingshilfe übernehmen und inwieweit für sie seit der Flucht vieler Menschen nach Deutschland Veränderungen zu verzeichnen sind (Fördermaßnahmen, Kooperationen).
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Identifizierung von relevanten internen, externen und relationalen Einflussfaktoren im Sinne fördernder und hemmender Faktoren auf das Engagement- und Kooperationsverhalten von religiösen und nicht-religiösen MSO unter besonderer Berücksichtigung der Effekte unterschiedlicher religiöser Orientierungen. Interne Faktoren betreffen die organisationsspezifischen Charakteristika der MSO (Ressourcen, Ziele, Selbstverständnis), externe Faktoren beziehen sich auf das Umfeld (Förderung, öffentliche Diskurse) und relationale Faktoren beschreiben die Beziehung zwischen Organisationen (Kommunikation, Konkurrenz, Motivation). |
Das Ziel der Analyse ist es, bestimmte Regelhaftigkeiten in den Tätigkeitsbereichen und im Kooperationsverhalten der MSO zu identifizieren, indem die Aktivitäten bzw. das Kooperations- und Beziehungsspektrum von MSO kategorisiert und in plausible (kausale) Begründungszusammenhänge im Sinne erklärender Faktorenbündel eingeordnet werden.
Das dezidiert interdisziplinär und auf Wissenstransfer angelegte Promotionsvorhaben nimmt einen organisations-, religions- und migrationssoziologischen Fokus ein. Theoretisch und empirisch fundiert werden auf drei Analyse-ebenen Faktoren und Regulierungsdimensionen herausgearbeitet, die das Engagement- und Kooperationsverhalten der sehr vielfältig ausgerichteten und über disparate Ressourcenausstattungen verfügenden MSO beeinflussen. Dabei gilt es, die Relevanz von unterschiedlichen religiösen Glaubensüberzeugungen als Movens für organisatorisches Verhalten und als Indikatoren für spezifische Beziehungsverhältnisse zu eruieren und mit den Verhaltensweisen ‚säkularer‘ MSO ins Verhältnis zu setzen. Mit ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung und der quantitativen Befragung von MSO in der Breite im Rahmen einer Vollerhebung in neun nordrhein-westfälischen Großstädten kommt der Studie eine Pionierfunktion zu. Die Identifikation von Ressourcen und Barrieren für Engagement von und Kooperationen mit MSO auf lokaler Ebene zeigt politische Handlungsbedarfe auf, die letztlich einer effektiven Weiterentwicklung von kommunalen Strategien der Förderung und Einbindung von MSO dienlich sein können. * Dortmund, Essen, Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen, Bielefeld, Oberhausen, Hagen, Hamm |